Ich habe die Frage dann auf Google+ gestellt und ausdrücklich um spontane Antworten aus dem Bauch heraus gebeten. Sowohl die grosse Zahl der Reaktionen als auch deren Inhalt haben mich sehr beeindruckt. Selber gehe ich davon aus, dass die Europäische Menschenrechtskonvention und die Schweizer Bundesverfassung den urteilsfähigen Bürgern das Recht gewährleisten, selbständig über das Wann und das Wie ihres Todes zu bestimmen. Ob dieses Recht auf den eigenen Tod indes auch einem Untersuchungshäftling oder einem Strafgefangenen uneingeschränkt zusteht, ist eine andere Frage. Zum einen wird eingewendet, der Staat übernehme mit dem Entzug der Freiheit eine Fürsorgepflicht und habe den Gefangenen dereinst wieder heil und gesund in die Freiheit zu entlassen. Dem kann ich so weit zustimmen, als die Gefängnisverwaltung auch aus meiner Sicht, einen Häftling so weit möglich vor eigentlichen Kurzschlusshandlungen abhalten muss. Wo dagegen ein urteilsfähiger Gefangener den wohl überlegten und beständigen Willen äussert, seinem Leben ein Ende zu setzen, darf der Staat ihn nicht daran hindern, nur weil er vorübergehend nicht in völliger Freiheit lebt.
Das Recht auf den eigenen Tod wird einem Gefangenen allerdings noch aus ganz anderen Gründen abgesprochen. Er soll sich zunächst in einer Strafuntersuchung und in einem Strafprozess verantworten und im Falle einer Verurteilung für seine Tat büssen. Erst danach darf er gemäss dieser - vom Schweizerischen Bundesgericht im Falle des Hanfbauern Bernard Rappaz vertretenen - Argumentation wieder über sein eigenes Leben verfügen (Kalenderblatt vom 25. Oktober 2010). Soweit es darum geht, die Hintergründe eines schweren Verbrechens aufzuklären oder gar im Falle eines Terrorangriffs drohende weitere Gefahren zu entdecken, darf dem Staat wohl kein Vorwurf gemacht werden, wenn er einen gefassten Straftäter einstweilen zum Leben zwingt. Wo dagegen ein Verurteilter nur deshalb nicht sterben darf, weil er zuvor eine lange Freiheitsstrafe absitzen muss, sehe ich keinen Rechtsstaat mehr. Zumindest erscheint mir eine solche Verurteilung zum Leben nicht minder grausam als ein Verurteilung zum Tod (Kalenderblatt vom 27. August 2010).
Danke für diesen Beitrag, hat mich sehr zum Nachdenken gebracht. Ich sehe im jetzigen Fall nur ein Problem. Dein Beitrag setzt GMV (gesunden Menschenverstand) voraus. Dieser Mensch hat sich jedoch soweit von jedem "normalen" Denken entfernt, dass er sowohl jeden Bezug zur Realität verloren hat, als dass er der Selbstreflektion wohl gar nicht mehr fähig ist. Viele Amokläufer bringen sich ja gerade deshalb um, weil sie sich den Konsequenzen für ihr Handeln nicht stellen wollen. Dies tat er nicht. Er will sich in seiner Tat "sonnen" und gefällt sich im Blitzlichtgewitter. Dass er wohl nicht therapierbar ist, stelle ich jetzt mal einfach so in den Raum.
AntwortenLöschenMit der Frage nach dem GESUNDEN Menschenverstand sprichst du auch das Problem der Urteilsfähigkeit an. Wird die verneint, spielt das Recht auf den frei gewählten Tod grundsätzlich nicht. Allerdings fehlte dann wohl auch die Zurechnungsfähigkeit und damit entfiele eine Bestrafung. Das ist alles recht komplex. Wir dürfen gespannt sein, wie das alles endet...
AntwortenLöschenMoin,
AntwortenLöschenmoralisch-ethisch halte ich die vorgetragenen Positionen für entsetzlich. Es wird eine Position bezogen, dass Menschen einem Menschen erlauben, einen Menschen zu töten. Absurd.
Es sollte uns der höchste Wert bleiben, menschliches Leben auf jeden Fall zu retten. Was wir dann dennoch nicht verhindern können, sollte uns nicht verleiten, jemandem eine "license to kill" zu erteilen.
Die Formulierung "Das Recht auf den eigenen Tod wird einem Gefangenen allerdings noch aus ganz anderen Gründen abgesprochen" ist leicht daneben. Ich darf also nur sterben, wenn mir andere es erlauben? Aha, wir bekommen also demnächst das ewige Leben von der Justiz und nicht von der Medizin. Ja, es gibt sehr hohe Pferde :-)
Gruß, Jan Dark