11. Dezember 2010

Nüchternes zu Wikileaks

Die einen erstarren in jubilierender Ehrfurcht wie vor einem lange ersehnten Heiland. Andere wenden entrüstet den Blick ab wie vom Leibhaftigen. Ein nüchterner Blick auf Wikileaks ergibt ein differenzierteres Bild.

Die technischen Möglichkeiten des Internet haben ganz neue Erwartungen und Ansprüche gefördert. Vielfach gilt heute als selbstverständlich, dass vorhandene Informationen ins Netz gestellt gehören, und das auch noch gratis. Das hat herkömmliche Zeitungsverlage in Bedrängnis gebracht und kollidiert zunehmend generell mit dem Anspruch, eine Information nicht (oder noch nicht) publik zu machen. Es kann sich dabei um Geheimnisse des Staates selbst handeln, um Geschäftsgeheimnisse oder um Dinge aus dem Privatbereich. Und je nachdem kann der Träger des Geheimnisses sich auf einen mehr oder weniger starken gesetzlichen Schutz berufen. Oder anders herum: Zur Informationsfreiheit gehört nicht nur das Recht, Informationen zu erhalten und zu beschaffen, sondern ebenso das Recht, eine Information zurück zu halten.

Diese Rechte können verletzt werden, wenn Informationen gegen den Willen ihrer rechtmässigen Inhaber ins weltweite Netz gestellt werden. Verantwortlich ist primär, wer die Informationen widerrechtlich behändigt und beispielsweise an Wikileaks weitergibt. Allerdings kann solches Verhalten durch höher zu gewichtende Interessen gerechtfertigt sein, wenn dadurch etwa, rechtswidrige Vorgänge - zumal des Staates - aufgedeckt werden, wie das auf Wikileaks geschehen ist. Die Veröffentlichung einer diplomatischen Depesche, in der die deutsche Bundeskanzlerin mit einer Teflonpfanne verglichen wird, gehört allerdings aus meiner Sicht eindeutig nicht dazu.

Wer dagegen wie Wikileaks lediglich die ihm zugetragenen Informationen auf seiner Plattform zugänglich macht, ist für die bei der Beschaffung der Informationen erfolgten Rechtsbrüche grundsätzlich nicht verantwortlich. Er kann wohl nur dann belangt werden, wenn das Gesetz ausdrücklich auch die Weiterverbreitung untersagt, was bei militärischen Geheimnissen oder im Zusammenhang mit Nukleartechnologie denkbar ist. Einen Sonderfall bildet die Schweiz, wo Artikel 293 des Strafgesetzbuches die Weitergabe geheimer Informationen generell unter Strafe stellt. Diese Bestimmung gehört indes längst ersatzlos gestrichen.

Rechtlich besehen ist somit gegen das Vorgehen von Wikileaks kaum etwas einzuwenden, soweit es um die Aufdeckung von Missständen geht. Lege ich allerdings die Brille des Juristen ab, verbleiben für mich zwei Fragezeichen. Zum einen wüsste ich gerne, wie Wikileaks bei der Belieferung der einzelnen Medien vorgeht, und warum zum Beispiel in der Schweiz ein einzelnes Privatradio vorab über Informationen verfügte. Sodann frage ich mich, ob es wirklich um weltweite Transparenz geht oder nur darum, die USA zu piesacken. Mit Sicherheit gäbe es auch anderswo Wichtiges zu enthüllen, und dabei denke ich nicht nur an Russland, China oder den Vatikan, sondern durchaus auch an Rechtsstaaten.

9 Kommentare:

  1. Eine Frage zum Artikel 293: Da steht, dass "zur Öffentlichkeit bringen" und "Gehilfenschaft" strafbar ist.
    Sind da wirklich die Medien gemeint? Wenn die NZZ also über ein geheimes Papier berichtet, macht sie sich auch strafbar? Oder gibt es da einen Unterschied zwischen Medium NZZ und Medium Wikileaks?

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  2. Da sind vor allem Journalisten gemeint. Ich selber wurde auch schon einschlägig verurteilt, bin dann aber vom Berner Obergericht und vom Bundesgericht freigesprochen worden! Wenn ich mich richtig erinnern, hat der Bundesrat einmal vergeblich die Abschaffung der Bestimmung vorgeschlagen.

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  3. Interessant. Gab es deswegen auch schon gültige Verurteilungen von Journalisten?

    Wenn der Artikel 293 aufgehoben würde: Gegen welche(n) Artikel würde derjenige, der «die Informationen widerrechtlich behändigt und beispielsweise an Wikileaks weitergibt», verstossen? Kommt da Artikel 320, Verletzung des Amtsgeheimnisses, oder gar Artikel 267, diplomatischer Landesverrat, zur Anwendung? Gibt es einen Artikel, der Unternehmensgeheimnisse oder vertraglich geregelte Geheimnisse schützt?

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  4. Könnte auswendig keine Namen nennen, aber rechtskräftige Verurteilungen gab es immer wieder. Einer solchen liegt in der Regel eine Verletzung des Amtsgeheimnisses zugrunde, doch kann das Leck meist nicht gefunden werden, dann hält man sich an den Journalisten.

    Art. 162 Verletzung des Fabrikations- oder Geschäftsgeheimnisses!

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  5. OK, danke für die Informationen!

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  6. Zum einen wüsste ich gerne, wie Wikileaks bei der Belieferung der einzelnen Medien vorgeht, und warum zum Beispiel in der Schweiz ein einzelnes Privatradio vorab über Informationen verfügte.

    Daniel Domscheit, der bis vor kurzer Zeit als deutschsprachiger Wikileaks-Sprecher auftrat und nun am Alternativ-Projekt OpenLeaks arbeitet, ist diesbezüglich informativ. Beispiel:

    http://www.netzpolitik.org/2010/aus-fehlern-lernen-openleaks/ (Interview selbst noch nicht angehört)

    Die Privatradio-Angelegenheit hing mit der SPIEGEL-Ausgabe zusammen, die in Basel verfrüht verkauft wurde … wobei jeweils zu beachten ist, dass bislang erst ein kleiner Teil der Nachrichten überhaupt online verfügbar ist.

    Sodann frage ich mich, ob es wirklich um weltweite Transparenz geht oder nur darum, die USA zu piesacken. Mit Sicherheit gäbe es auch anderswo Wichtiges zu enthüllen, und dabei denke ich nicht nur an Russland, China oder den Vatikan, sondern durchaus auch an Rechtsstaaten.

    Selbstverständlich gäbe es noch viele andere interessante Quellen für Leaks, zumindest auf der früheren Wikileaks-Website war auch vieles aus anderen Quellen online, erregte aber jeweils kein Medieninteresse. Es müssen ja leider erst reichlich perverse Mechanismen wirken, bevor sich Medien dazu bequemen, nicht bloss Agenturmeldungen zu verwerten, sondern selbst Rohdaten auszuwerten.

    Podcast-Tipp dazu (und auch zu Wikileaks): http://alternativlos.org/10/

    Und klar, Julian Assange hat eine Agenda, aber spielt das eine Rolle? Die Frage ist genauso absurd wie die Forderung nach Transparenz bei Wikileaks, denn letztlich geht es um die veröffentlichten Daten. Die Diskussion um den Absender ist pure und natürlicherweise willkommene Ablenkung.

    Einen Sonderfall bildet die Schweiz, wo Artikel 293 des Strafgesetzbuches die Weitergabe geheimer Informationen generell unter Strafe stellt.

    AFAIK wird damit «lediglich» das an die Öffentlichkeit bringen pönalisiert, nicht aber die Weitergabe. Und Informationen, die öffentlich sind, verlieren per Definition ihren geheimen Charakter, nicht?

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  7. @Martin:
    Deine Überlegung zu Artikel 293 StGB ist interessant, dürfte indes in der Schweiz keinen Strafrichter überzeugen!

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  8. Auch noch eine Frage zu Art. 293: Macht sich ein Journalist strafbar, wenn er Informationen veröffentlicht, welche ihm anonym zugestellt werden und von denen er nicht weiss, ob sie als geheim gelten? Der klassische "Top Secret"-Stempel ist im digitalen Zeitalter ja ziemlich wirkungslos...

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  9. @Titus:
    Wenn sich nicht nachweisen lässt, dass der Journalist vorsätzlich (wissentlich und willentlich) eine geheime Information weitergab, wird der Richter auf das selbstgestrickte, inzwischen auch ins Gesetz aufgenommene, perfide Konstrukt des Eventualvorsatzes zurückgreifen und sagen, der Journalist hätte in Kauf genommen, dass die Information geheim sein könnte.

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