12. Januar 2010

Überlastet wäre anders



Von Überlastung des Bundesgerichts könne zurzeit keine Rede sein, meinte unlängst ein Richter in der Cafeteria und erwartete moralischen Sukkurs aus der Runde. Einer darin schaute mich an und meinte grinsend: «Wenn die Presse daneben steht, bin ich immer überlastet!»


Öffentlichkeitsarbeit war nie Kernkompetenz des Bundesgerichts, doch den Mythos seiner Überlastung und damit der eigenen Wichtigkeit verstand es seit jeher fest im Bewusstsein des Publikums zu verankern. E contrario liesse sich aus der launigen Bemerkung schliessen, dass die Justiz durchaus über Zeit und Musse verfügt, wenn die Presse nicht daneben steht. Die Frage der Überlastung der Justiz ist ein komplexes Thema, das hier wohl noch einige Kalenderblätter füllen wird.


In den achtziger Jahren gab es deutliche Anzeichen dafür, dass das Bundesgericht als Ganzes ziemlich überlastet war. Wer die Szene damals beobachtet hat, weiss indes, dass diese Anzeichen in der heutigen Justizszene nicht auszumachen sind. Dafür gibt es durchaus Signale für das Gegenteil, von denen zwei sich direkt aus den Urteilen ablesen lassen.


Wer nämlich tatsächlich überlastet ist, wird unnötigen Aufwand vermeiden und sich bei seiner Tätigkeit auf Notwendiges beschränken. Er wird beim Erarbeiten seiner Urteile weder Musse haben für unnötige wissenschaftliche Exkurse, noch Zeit finden, um seine Texte auf Eleganz und Schlankheit zu trimmen. Epische Länge und schnippische Kürze richterlicher Entscheide lassen untrüglich darauf schliessen, dass es an Ressourcen nicht mangelt.


Ich denke da an das Bundesverwaltungsgericht, das wie unlängst wieder in seinem Finma-Entscheid mitunter über Dutzende von Seiten hinweg Fragen erörtert, die sich nicht stellen. Oder aber im Ringen mit der eigenen Unwissenheit zu der höchstens innerhalb der Gerichtsmauern neuen Erkenntnis gelangt: «Das Internet ist ein Netzwerk von Rechnernetzwerken, durch das weltweit Daten ausgetauscht werden.» Tief blicken lässt aber auch das Gegenteil – so etwa zurzeit in einer Abteilung des Bundesgerichts. Da wird zum Ärger der Schreiber an bereits fertigen Urteilen gefeilt und geschneidert, um Texte zu fabrizieren, die vor lauter Kürze und Schönheit kaum mehr verstanden werden.


Beides ist nicht weiter schlimm. Wer lieber Epiker ist als Richter und dafür genug Zeit und Papier hat, soll es tun. Und wer lieber Schneider ist als Richter und dafür genug Zeit und Musse hat, soll es auch tun. Über zu grosse Arbeitslast klagen aber sollten beide nicht.


fel.


PS: Bleibt zu hoffen, dass das Kalenderblatt weder episch lang erscheint, noch schnippisch kurz, denn auch die Presse möchte den Nimbus eigener Überlastung aufrecht erhalten.

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