25. Januar 2010

Meine Relativitätstheorie



Keine Angst, von Physik verstehe ich auch nichts. Und ausser der Geste mit der
herauslugenden Zunge habe ich mit Einstein wenig gemeinsam. Allerdings habe auch ich eine Relativitätstheorie erfunden. Eine juristische allerdings, und an die musste ich vergangenes Wochenende denken, als ich die sich diametral widersprechenden Kommentare über das Amtshilfe-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts las.


Die meisten Juristen wissen mit absoluter Gewissheit, dass ein bestimmtes Urteil goldrichtig oder kreuzfalsch ist. Dabei gehen sie vom Axiom aus, dass es für jedes juristische Problem eine richtige Lösung gibt. Das fängt bei den Prüfungsfragen an der Universität an und geht später bei Gerichte weiter. Jeder weiss, wie entschieden werden muss, und was anders lautet, ist ein Fehlurteil.
Dabei wird Recht mit Mathematik verwechselt, wo es tatsächlich auf eine Frage nur eine einzige richtige Antwort gibt. Wer indes wie ich seit bald dreissig Jahren Urteilsberatungen beobachtet, hat längst gemerkt, dass es in der Juristerei für die meisten Probleme mehrere Lösungen gibt, die alle nicht ganz falsch sind. Das ist meine Relativitätstheorie. Wäre Jurisprudenz eine (präzise) Wissenschaft, könnte man Richter durch Computer ersetzen, und Justiz vermöchte Gerechtigkeit zu schaffen. So aber bleibt der Rechtsspruch letztlich ein Machtspruch, durch den mit Mehrheitsentscheid ein Streit geschlichtet wird. Justiz ist lediglich, aber immerhin zivilisierter Ersatz für Faustrecht.


Und was bedeutet diese Relativitätstheorie konkret angewendet auf das heftig umstrittene Urteil von letzter Woche? Mit Sicherheit liessen sich im über siebzigköpfigen Bundesverwaltungsgericht auch fünf Richter finden, die das Urteil genau anders herum gefällt hätten. Und könnte das Verdikt nach Lausanne weitergezogen werden, schlösse ich keineswegs aus, dass das höchste Gericht mit drei gegen zwei Stimmen so oder so oder gar noch anders entscheiden würde...


fel.


PS: Schade eigentlich, dass der Gesetzgeber wegen der vermeintlichen Überlastung des Bundesgerichts so wichtige Rechtsbereiche wie die internationale Amtshilfe in Steuersachen einer höchstrichterlichen Beurteilung entzogen hat.

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