30. März 2012

Diesseits des Papiers

Das Schweizerische Bundesgericht ist offensichtlich noch nicht angekommen in der digitalen Welt. Zwar verlangt das Gesetz seit kurzem, dass das höchste Gericht Beschwerden und Dossiers auch elektronisch entgegen nehmen muss. Damit tut man sich allerdings noch recht schwer und druckt das Ganze - horribile dictu - als allererstes einmal auf Papier aus. Aber auch die immer wieder erheiternde Anonymisierungspraxis des Gerichts zeugt von tiefem Unverständnis gegenüber allem jenseits des Papiers.


So wurde unlängst in einem Streit zwischen dem Verein gegen Tierfabriken und der Weltwoche restlos alles kaschiert, was auf die Beteiligten hätte schliessen lassen. Nach der Einleitung «Das Wochenmagazin Z. veröffentlichte in der Ausgabe Nr. zzzz ...» folgen die TV-Moderatorin M. und der gnadenlose Tierschützer Y. mit seiner X.-Zeitung. Und sogar das Autorenkürzel (rs) wird zu (L.) gemacht. Das alles ganz offensichtlich, um zu verhindern, dass ein unbefugter Zeitgenosse herausfinden kann, um wen es dabei geht. Die fraglos gut gemeinten und aufwändigen Bemühungen werden indes umgehend wieder unterlaufen, indem das Bundesgericht den inkriminierten Wortlaut - abgesehen von den erwähnten Anonymisierungen - tel quel zitiert. Damit wird es zum Kinderspiel, durch Auswahl einer einschlägigen Passage und Klick auf die rechte Maustaste eine Google-Suche auszulösen, die umgehend zur Beschwerdeschrift und zum vollständigen Wortlaut des mühsam anonymisierten Artikels (ganz am Schluss) auf Internet führt.

Viel Aufwand für nichts, aber den kann das Gericht sich anscheinend leisten. Schaden entstanden ist keiner, weil es ohnehin mehr als genügt hätte, der guten Ordnung halber den Namen der TV-Moderatorin und des Tierschützers abzudecken. Zu denken geben muss allerdings, dass genau so unbedarft gewerkelt wird, wenn einmal eine Identität wirklich geschützt werden muss, zum Beispiel weil es um Details aus der Intimsphäre geht.

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