28. September 2010

Anciennität

Das Prinzip der Anciennität sei eine dumme Regel, aber sie helfe Streit vermeiden. Das sagte mir vor 25 Jahren einmal ein inzwischen längst aus dem Amt geschiedener Richter. Er musste es wissen, dann damals ging am Schweizerischen Bundesgericht noch fast alles nach Anciennität. Selbst im internen Telefonverzeichnis waren die Richter nicht alphabetisch aufgelistet, sondern nach ihrem Amtsalter. Vor allem das heiss begehrte Amt des Bundesgerichtspräsidenten wurde streng nach Anciennität vergeben. Fast jedenfalls, denn es gab immer solche, die darauf verzichteten. Und wenn man einen partout nicht wollte, wurde er genötigt und bedrängt, bis er verzichtete. Vor einigen Jahren allerdings liess einer sich den Verzicht nicht abringen. Er musste mit demokratischem Mehrheitsentscheid der versammelten Richter gestoppt werden, womit auch das Anciennitätsprinzip formell vom Tisch war. In den Köpfen tickt es allerdings noch heute...

In der Exekutive gilt das Anciennitätsprinzip noch immer. Bundespräsident und damit für ein Jahr Staats- und Regierungschef zugleich werden die Schweizer Bundesräte in der Reihenfolge ihrer Wahl. Und auch bei der Verteilung der Departemente wird die Anciennität beschworen. Gestern allerdings dürfte die Regel wieder einmal durch Mehrheitsentscheid ausgehebelt worden sein. Nur so erklärt sich, dass das ungeliebte Justiz- und Polizeidepartement an Simonetta Sommaruga hängen blieb und nicht an dem zuletzt gewählten Johann Schneider.

Eine ganz andere Frage ist, warum das in einer verrechtlichten Gesellschaft so wichtige Justizministerium in der Schweiz derart unbeliebt ist. Das hat - auch - damit zu tun, dass Richter und Anwälte in Sachen Öffentlichkeitsarbeit noch immer sehr wenig für ihre Sache tun. Recht und Justiz werden weit unter ihrem tatsächlichen Wert gehandelt und riskieren, immer mehr als Schmuddelkinder der Nation wahrgenommen zu werden. Dass das Justizdepartement keiner will in diesem Staat, spricht eine deutliche Sprache.

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