2. September 2010

Helvetisches Babylon?

In den meisten Ländern zieht das Gericht sich nach der öffentlichen Verhandlung zur Beratung des Urteils hinter verschlossene Türen zurück. In der Schweiz gibt es in einigen Kantonen und am höchsten Gericht die Tradition, ein Urteil öffentlich zu beraten. Am Bundesgericht muss das von Gesetzes wegen zwingend geschehen, wo keine Einstimmigkeit besteht. Im Gegensatz zu früheren Generationen liebt die heutige Truppe am höchsten Schweizer Gericht das öffentliche Debattieren und Abstimmen indes nicht sonderlich. Wohl vor allem deshalb liegt die Quote der Einstimmigkeit nahe 99 Prozent. Immerhin noch 76 Fälle wurden im vergangenen Jahr in Lausanne und Luzern öffentlich beraten. Sinn des ganzen ist es, eine Kontrolle der Justiz durch die - in der Regel über die Medien vertretene - Öffentlichkeit zu ermöglichen.

Bei diesen Debatten, die auf unterschiedlichem geistigem Niveau verlaufen, manifestiert sich als weiteres Unikum die helvetische Mehrsprachigkeit. Jeder Richter darf in seiner Sprache sprechen, so dass in der Beratung praktisch immer deutsch und französisch schnabuliert wird. Richter aus der italienischen Schweiz bedienten sich früher ebenfalls der Sprache Goethes oder Molières, ganz einfach um von den Kollegen auch verstanden zu werden. Heute wird vermehrt Italienisch gesprochen, was politically correct, aber möglicherweise nicht immer der Verständigung förderlich ist. Verfasst wird das Urteil schliesslich in derjenigen Sprache, welche schon die Vorinstanz verwendet hat, was in den meisten Fällen auch die Sprache des Betroffenen ist. Übersetzt werden die Urteile des Bundesgerichts - abgesehen vom bisher einzigen rätoromanischen Entscheid - selbst dann nicht, wenn sie in die amtliche Sammlung der Leiturteile aufgenommen werden. Das wohl aus der Erkenntnis, dass Übersetzungen wie Frauen sind: im besten Fall entweder schön oder treu. Den Beweis für die Unzulänglichkeit von Übersetzungen liefern die Schweizer Gesetzestexte, die wohl in drei Sprachen vorliegen, aber oft genug weder schön noch treu (sprich kongruent) sind.

1 Kommentar:

  1. Na dann haben die Gesetzestexte wenigstens was mit Männern gemeinsam...

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