14. März 2011

Halbwertszeiten

Mir sind nicht viele Länder bekannt, wo die Bürger verbindlich darüber abstimmen können, ob sie Atomkraftwerke wollen oder nicht. Österreich hat es 1978 mit hauchdünner Mehrheit abgelehnt, das bereits fertig gestellte Kernkraftwerk Zwentendorf in Betrieb zu nehmen und sich in der Folge von dieser Technologie verabschiedet. Die Schweizer befürworteten 1990
ein befristetes Moratorium für den Neubau von Kernkraftwerken, mit dem indes kein konkretes Projekt verhindert, sondern vor allem ein hitziger Glaubenskrieg abgekühlt wurde. Einen Ausstieg aus der Atomstrom-Produktion dagegen lehnten die Schweizer Stimmbürger mehrmals ab - zuletzt im Jahre 2003 mit einer deutlichen Zweidrittels-Mehrheit.

Wie sich die atomare Katastrophe in Japan auf die Einstellung der hiesigen Bevölkerung auswirken wird, bleibt wohl ein Geheimnis, weil keine einschlägige Abstimmung ansteht und allfällige Meinungsumfragen in der Schweiz nicht zuverlässigerere Resultate erbringen als anderswo. Und bis allenfalls in einigen Jahren über die Erneuerung oder den Neubau eines Kernkraftwerks abgestimmt werden muss, dürfte die gegenwärtige Schockwelle verebbt sein. Die Halbwertszeit der Wirkung solcher Katastrophen in den Köpfen der Menschen ist nämlich wesentlich geringer als jene des radioaktiven Abfalls in den Fässern. Darum sehe ich das Ende des Atomzeitalters noch nicht vor der Türe stehen. Sollte ich mich täuschen, freue ich mich als erster. Denn obwohl ich die Kernenergie auch nach den traurigen Ereignissen der letzten Tage nicht diabolisieren mag, wünsche ich mir einen baldigen Aufbruch zu neuen technologischen Ufern. Nicht aus Angst vor dem GAU (verdauliche Dosen), sondern aus Rücksicht auf kommende Generationen, denen wir zusätzlich zu den Schuldenbergen nicht auch noch immer grössere strahlende Müllhaufen hinterlassen sollten.

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