Genau heute vor acht Jahren kam es in der Eingangshalle des Bundesgerichts zu einem bisher einmaligen Zwischenfall. Ein Mitglied des höchsten Schweizer Gerichts spuckte mich von hinten an und traf dabei einen mit mir diskutierenden Gerichtsschreiber ins Gesicht. Der Vorgang erschütterte das Vertrauen in die Justiz derart, dass das Gericht eine Woche später den fraglichen Richter aus der Rechtsprechung verbannte und seinen Rücktritt verlangte. Als eine Demission unterblieb, setzte das Parlament eine Arbeitsgruppe ein, die den Vorfall sowie dessen Hintergründe untersuchte und einen 94 Seiten starken Bericht darüber verfasste. Zwei Tage vor dessen Veröffentlichung trat der spuckende Richter zurück.
Als ich unlängst im Rahmen eines Vortrags an der Richterakademie in Luzern feststellen musste, wie total unvertraut unsere Justiz mit neuen Medien wie Twitter und Facebook ist, stellte ich mir die Frage, wie das Ganze heute ablaufen würde. Damals vereinbarte das Gericht mit den nicht betroffenen Journalisten, die Information zunächst 24 Stunden zurückzubehalten, um dem Richter Gelegenheit zu geben, ohne Gesichtsverlust aus gesundheitlichen Gründen zurückzutreten. Danach sollte der Mantel des Schweigens über die Geschichte gebreitet werden. Dass es nicht dazu kam, ist wohl einzig darauf zurückzuführen, dass der spuckende Richter nicht mitspielte. Heute liesse sich die Information über ein solches Ereignis wohl keine einzige Stunde mehr zurückhalten, denn im Gegensatz zu den Richtern und ihren Schreibern kennt sich das übrige Personal im Palais, wo die Neuigkeit sich wie ein Lauffeuer ausbreitete, zu einem grösseren Teil aus mit neuen Medien.
Die Wirkung der Berichterstattung war schon damals verheerend für das Bundesgericht. Auf der Frontseite der Boulevardzeitung «Blick» prangte mehrspaltig ein überaus unvorteilhaftes Portrait des Verantwortlichen mit der fetten Überschrift «Dieser Richter spuckt» ! Etwas gemässigter ging es in anderen Medien zu, und die durch ihren Korrespondenten direkt getroffene Neue Zürcher Zeitung vermeldete das Ereignis unter dem diskreten Titel «Entgleisung eines Bundesrichters». Innert kürzester Zeit gingen rund 50 empörte Eingaben ein im Gericht, und in etlichen Verfahren, an denen der fragliche Richter mitgewirkt hatte, wurde eine Revision des Urteils verlangt. Das Bundesgericht sah sich der Lächerlichkeit preisgegeben und spürte, so der Bericht der parlamentarischen Arbeitsgruppe, dass das Vertrauen «in das oberste Gericht erschüttert war». Wer die neuen Medien kennt und insbesondere weiss, wie auf Twitter Emotionen innert Kürze masslos hochgeschaukelt werden können, vermag sich die Folgen auszumalen, die ein vergleichbares Ereignis heute auslösen würde. Der Schaden für die Justiz wäre um ein Vielfaches grösser und nachhaltiger, zumal das Bundesgericht weder auf Facebook noch auf Twitter präsent ist und einem solchen Geschehen weitgehend hilflos gegenüber stünde. Dabei ist nur eine Frage der Zeit, bis es zu einer derartigen Auseinandersetzung kommt - beispielsweise mit einem Querulanten der jüngeren Generation.
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