8. April 2010

Der Richter ist kein Schreiner



Das Kalenderblatt vom 7. April 2010 über ungesunden Menschenverstand hat verschiedentlich die Frage aufgeworfen, warum denn ein Richters die Arbeit an einem Fall nach seiner Pensionierung nicht noch zu Ende führen darf. In der Tat wäre wohl kaum etwas dagegen einzuwenden, wenn ein Schreiner einen angefangenen Schrank im Ruhestand fertig baut. Doch ein Richter schreinert keine Schränke. Er schlichtet Streitigkeiten, und sein Entscheid ist für alle verbindlich, solange das Urteil nicht von einem höheren Richter umgestossen wird. Diese Macht erhalten die Richter durch Wahl oder Ernennung, und ihre Amtsgewalt endet mit Ablauf der Amtszeit, durch Rücktritt oder Tod. Danach können sie schustern, was immer sie wollen, aber keine Urteile mehr fällen.


In der vermeintlich guten alten Zeit hatten die für einen Fall zuständigen Richter das Dossier studiert, sich zusammen gesetzt, den Lösungsvorschlag des Referenten diskutiert und anschliessend über das Urteil abgestimmt. Da lag es auf der Hand, dass einer nur mitreden und mitbestimmen konnte, wenn er noch im Amt war. Heute geht das meist anders: Ein Urteilsentwurf geht rundum, und wenn alle ihr Einverständnis vermerkt haben, steht der Zirkulations-Entscheid. Welches Datum er trägt, hängt von Spielregeln oder Usanzen ab. Es kann der Zeitpunkt sein, an dem der letzte Richter seine Zustimmung vermerkte, oder das Datum der Unterzeichnung oder gar der Versandtag. Das ändert aber nichts daran, dass der Urteilsspruch ein einheitlicher Akt von Richtern ist, die im fraglichen Zeitpunkt in Amt und Würden stehen. Das hat der Präsident zu gewährleisten, indem er das Verfahren so leitet, dass das Urteil zustande kommt, bevor einer der beteiligten Richter aus dem Amt scheidet. Andernfalls muss er einen nicht mehr amtierenden Kollegen durch einen anderen ersetzen.
fel.


PS: Kurz nach dem Prozess gegen die frühere Bundesrätin Elisabeth Kopp lief die Amtszeit eines der beteiligten Bundesrichter aus, was indes nur wenige Leute wussten. Das politisch hochbrisante Verfahren hätte aufgrund gewollter oder ungewollter Verzögerung platzen können.

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