15. März 2010

Arbeiten à la carte?



Soeben hat das Bundesgericht den Medien seinen Geschäftsbericht über das Jahr 2009 vorgestellt. Im vergangenen Jahrhundert war das jeweilen Anlass, über zu viel Arbeit und zu wenig Ressourcen zu klagen. Das geschah zu Recht und schliesslich mit Erfolg. Die Zahl der Mitarbeiter wurde vervielfacht, und das Gericht erhielt eine moderne Infrastruktur. Dennoch ging das Jammern zunächst weiter, bis es von den Journalisten zunehmend hinterfragt wurde. Etwa seit der Jahrtausendwende wird nicht mehr von Überlastung gesprochen, allenfalls noch von Fehlbelastung oder Stabilität auf hohem Niveau. Was allerdings intern beargwöhnt wird. Einige befürchten, eine halbwegs ehrliche Bewertung der Lage könnte dazu verleiten, dem Bundesgericht zusätzliche neue Aufgaben zu übertragen. Was angesichts der Sprunghaftigkeit der Politik nicht ganz unbegründet ist. Anderseits wirkt Jammern ohne Grund à la longue kontraproduktiv.


Die Frage der Arbeitsbelastung des höchsten Gerichts muss differenziert beantwortet werden. Zunächst gilt es im Auge zu behalten, dass die Geschäftslast im Wesentlichen von den Mitarbeitern bewältigt wird, die noch immer Gerichtsschreiber heissen. Fielen einmal sämtliche Richter gleichzeitig aus, ginge die Betrieb dank diesen Mitarbeitern zunächst normal weiter, denn Richter braucht es nur für Weichenstellungen in der Rechtsprechung sowie zum Unterschreiben der Urteile. (Diese Bosheit stammt für einmal nicht von mir, sondern von einem, der es als ehemaliger Bundesrichter wissen muss.)


Und auf der Ebene der Richter bestimmen die Betroffenen das Ausmass ihrer Belastung vollumfänglich selber. Wer für sich in Anspruch nimmt, jedes Dossier von Grund auf zu kennen und alle Rechtsfragen des Falles in sämtlichen Nuancen durchdacht zu haben, wird schwer überlastet sein. Wer die ihm übertragenen Dossiers an die Mitarbeiter weitergibt und sich mit Allem einverstanden erklärt, dem wird viel Zeit und Musse bleiben. Und wer bewusst delegiert und das Team seiner Mitarbeiter gekonnt führt, dürfte ausgelastet sein. Jeder arbeitet gewissermassen à la carte, und das ist auch gut so. Denn entscheidend ist weder, wie viele Stunden einer im Büro sitzt, noch wie viel Schweiss und Herzblut er über seinen Dossiers vergiesst. Entscheidend ist allein, was ein Richter zusammen mit seinem Team quantitativ und qualitativ zur Bewältigung der grossen Aufgabe des Gerichts beiträgt.
fel.


PS: Wie überall gibt es auch am Bundesgericht Arbeitstiere und Faultiere. Die meisten der gut hundert Bundesrichter, die ich bisher kennen gelernt habe, entstammen allerdings als ganz normale Menschen nicht dem Tierreich.

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