17. Januar 2010

Glaube an das Geheimnis



Katholiken glauben an das Geheimnis der jungfräulichen Geburt oder an das Geheimnis der Dreifaltigkeit. In der Justiz glaubt man an das Geheimnis. Punkt. Insbesondere Bundesrichter glauben an das Geheimnis schlechthin. Zunächst einmal glauben sie fest daran, dass sich überhaupt etwas geheim halten lässt in den heiligen Hallen auf Mon Repos. Und sodann scheinen sie zu glauben, dass das Geheimnis an sich ein wertvolles Gut ist.


Ein Beispiel für Geheimniskrämerei in der Justiz ist die Anonymisierung der Urteile. Kaum vorstellbar, was da schon alles der Schere des Zensors zum Opfer fiel: Die Namen der Ehemänner der beiden ersten verheirateten Bundesrätinnen, das beliebte Modegetränk Kombucha, die Namen öffentlicher Gewässer, von Gleitschirm-Landeplätzen, Rechtsgutachtern und sogar von Rindern. Dabei gibt es durchaus taugliche interne Richtlinien, die dem nötigen Schutz der Persönlichkeit Rechnung tragen, aber auch sagen, welche Namen durchaus stehen bleiben dürfen. Doch der Glaube ist stärker, jedenfalls der Glaube an das Geheimnis, und setzt die Justiz immer wieder berechtigtem Gespött aus.


Als ich unlängst über die Schnellsuche im Staatskalender des Bundes nach einem Richter suchte, hiess es: «kein Ergebnis». Dabei hatte ich den Kerl eben noch gesehen in der Cafeteria. Argwöhnisch, wie Journalisten sind, vermutete ich sofort den Glauben an das Geheimnis am Werk. Umso mehr als kaum einer aus den oberen Etagen aufzufinden war, dagegen so ziemlich jeder aus Kanzlei und Hausdienst. Der Name eines Bruderpaars etwa führte problemlos zum Weibel, nicht aber zum gleichnamigen Gerichtsschreiber. Die gute Fee der Journaille im Generalsekretariat verwies mich ratlos an die Bundeskanzlei. Dort wollte man mir zunächst gar nicht glauben, dass so wichtige Leute wie Bundesrichter einfach im Nirwana verschwunden sein sollen. Nach einer Stunde bestätigte man mir dann aber, dass dem so war. Und nach einer Woche hatte man, so erfuhr ich per eMail, «die Ursache für diese Unzulänglichkeit analysiert und herausgefunden, dass bei einigen Einträgen (Personen und Rollen/Funktionen) die publikationssteuernden Attribute nicht richtig gesetzt waren».


Die Schnellsuche im Staatskalender funktioniert inzwischen einwandfrei. Und für einmal ging ein schwarzes Loch also nicht auf übersteigerten Glauben an das Geheimnis zurück, sondern auf banale, aber falsch gesetzte publikationssteuernde Attribute.


fel.


PS: Die eMail vom Service Center Informatik der Bundeskanzlei endete mit der grün gefärbten Aufforderung, ich solle, bevor ich den Text ausdrucke, an die Umwelt denken. Das tat ich. Aber warum eigentlich nur vorher?

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